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Hinterm Horizont



Bei allem Verständnis für die Vielfalt der Medien in der Kunst, das die Willingshäuser im über zwanzigjährigen Lauf des Stipendiums gewonnen haben, sind sie doch glücklich, wenn sie mal wieder einen „richtigen Maler“ bei sich zu Gast haben. Robert Sturmhoevel ist ein solcher, hat drei Monate mit Frau und Kind im „Hirtenhäuschen“ gewohnt und im Atelier des Gerhardt von Reutern Hauses wie „die alten Meister“ gemalt.


Trotzdem geht es ihm nicht darum, ein Medium und eine Technik virtuos zu beherrschen – das ist nur die handwerkliche Voraussetzung. Vielmehr geht es ihm um spezifische und nur in der Kunst mögliche Entdeckungen, Erzählungen, Diskussionen und Statements, die sich dieser Medien und Techniken bedienen. Malerei ist kein Selbstzweck, die nur zu „schön gemalten Bildern“ führt.


Der Berliner Robert Sturmhoevel war sofort fasziniert vom Leben auf dem Land und der Schwälmer Landschaft. Solche Horizonte, solches Licht, solche Farben hatte er noch nicht gesehen. Aber er vergaß auch nicht, woher er kommt, weder was seine Themen sind, noch was seine Wahrnehmung und die besondere Methode seiner Malerei angeht. Er ließ sich nicht überrumpeln, sondern beobachtete und prüfte, was sich ihm anbot. Denn über Willingshausen hinaus, „hinterm horizont“, wie er seine Ausstellung überschrieben hat, lauerte das, was man nicht sehen konnte. Es musste erzählt werden. Das heißt, die Malerei, die hier so überzeugend daherkommt und fasziniert, ist nicht die Illusion auf der Fläche, die sie vorgibt zu sein.


Wer einmal in seinem Atelier war, dem ist aufgefallen, dass es dort sehr sauber und ordentlich zugeht. „Ich verlasse mein Atelier so“, sagt er, „wie ein Arbeiter abends seinen Arbeitsplatz“. Der Raum sieht nicht aus wie eine Höhle wüster Kreativität, sondern eher wie ein aufgeräumter Desktop, eine Bildschirmoberfläche, auf der die Programme mit ihren Werkzeugen und Dateien abrufbar sind. Die Arbeitswand ist wie ein Schreibtisch, auf der sich die Vorlagen, Zeichnungen, Fotografien, Notizen um die unfertigen Bilder reihen und darauf warten, einfließen zu können. Verschiedene Pinsel und seltsam selbst gebastelte Werkzeuge, die erklären, dass er für den Farbauftrag besondere Formen entwickelt hat, hängen ordentlich aufgereiht an der Wand. Eine Palette von bonbonartigen Farben steht bereit, um jedem Bild eine andere, entschiedene Farbzusammenstellung zu geben. Sie taucht alles, was er erzählt, in ein eigenwilliges Licht.


Seine Protagonisten sind Kinder. Sie sind „zu Hause“ in Szenerien, die aus verschiedenen Versatzstücken zu einem Bild zusammengebaut sind, Konstruktionen also – aber nicht erfunden, sondern gesehen, beobachtet, teils auch fotografisch aufgefunden oder aufgenommen. Einheimische erkennen Landschaften und Gebäude rings um Willingshausen. Aber so sehr es aussieht, dass die Kinder dort etwas zu tun haben, man kann nicht ergründen, was. Vielmehr drängt sich auf, dass es hier eher um Stimmungen, um Befindlichkeiten geht – vielleicht auch um Metaphern von Verhalten und Selbstdefinition.


Auch wenn die Bilder auf den ersten Blick schlüssig und verständlich gemalt erscheinen, der zweite, dritte und vierte Blick offenbart lauter Ungereimtheiten und Widersprüche. Orte, Gegenstände und Personen sind wie auf Folien übereinandergelegt. Jede Folie scheint ihr eigenes Thema zu haben, ein eigenes Bild zu sein. Nicht zuletzt mischt sich die Malerei als Malerei ein. Mal gibt es Schatten, mal nicht, mal sind Umrisse flächenhaft ausgemalt, mal gegenständlich gefüllt. Mal herrscht faszinierende Illusion, mal zeigt die Farbe sich „nur“ als Material. Aber diese divergente Art zu malen, in ihrer Kombination und abgestimmten Farbigkeit, verbindet gerade das Nicht-Schlüssige zu einer surrealen Einheit.


Was aber macht der Betrachter mit den Schnittstellen und Überlagerungen der Folien? Oder mit einem „leeren“ Gesicht im Bild? Er bewegt sich mit Auge und Verstand zwischen den Folien, wechselt die Ebenen und füllt so die verschiedenen Inhalte und Bedeutungen aus dem Bild zu eigenen Erzählungen. Robert Sturmhoevel macht den Betrachter auf diese Weise selbst „bildmächtig“.


Das Arbeitsstipendium in Willingshausen ist für alle Beteiligten eine Herausforderung – für die BewohnerInnen des Dorfes, die BesucherInnen der StipendiatInnenausstellung genauso wie für die KünstlerInnen. Wie die Geschichte inzwischen zeigt, ist das sehr produktiv – also genau das, was eine Künstlerkolonie ausmacht.




Bernhard Balkenhol, 2018


    

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